Braucht mein Unternehmen ein Kredit-Regelwerk?

, Ratgeber

Auch kleinere und mittlere Unternehmen sollten über eine Richtlinie für die Kreditvergabe nachdenken. Wann eine Kreditrichtlinie benötigt wird, welche Fragen relevant sind und wie Sie bei der Erarbeitung vorgehen können, erfahren Sie hier.

Jeder Konzern hat sie: eine s.g. Credit Policy. Unter dem traditionellen Namen „Kreditrichtlinie“ können sich die meisten eher etwas vorstellen. Mit einer Kreditrichtlinie sollen Kreditrisiken minimiert, Zahlungsausfälle vermieden und die Kosten des Forderungsmanagements optimiert werden.

Im Gegensatz zu Großunternehmen und Konzernen sind dokumentierte Kreditrichtlinien in kleinen und mittelständischen Firmen seltener vorzufinden,  obwohl die Bedeutung des Credit-Managements für Erfolg und Existenz der Unternehmen dieselbe ist.

Doch selbst in kleineren Unternehmen kann der Einsatz eines solchen Regelwerkes durchaus Sinn machen.

Wann ist eine Kreditrichtlinie sinnvoll:
  • Im Unternehmen entstehen systematisch nennenswerte offenen Posten.
  • Forderungsausfälle haben einen mittleren bis starken Impakt auf das Betriebsergebnis.
  • Die Verantwortlichkeiten für Kreditentscheidungen sind nicht ausreichend festgelegt.
  • Am Prozess von der Auftragsannahme bis zur Forderungsrealisierung (Order to Cash) sind verschiedene Abteilungen und Mitarbeiter beteiligt.
  • Verantwortliche angrenzender Abteilungen haben unterschiedliche Auffassungen zur Akzeptanz von Zahlungsstörungen oder Zahlungsausfällen.
  • Die Kosten zur Nutzung einer Warenkreditversicherung sollen dauerhaft gesenkt werden.
Projekt Kreditrichtlinie: Was kommt auf mich zu?

Sinnvollerweise erarbeitet ein Unternehmen dieses Regelwerk selbständig auf Grundlage seiner besonderen risikorelevanten Einflussfaktoren, seiner Prozesse und unter Beteiligung aller verantwortlichen Personen und Abteilungen. Das Ergebnis ist ein Gesamtdokument, das verbindliche Handlungsregeln vorschreibt und Verantwortlichkeiten festlegt. Es dient der Transparenz, beugt Missverständnissen vor und führt zu einheitlichen Prozessen im gesamten Order to Cash-Prozess.

Je nach Unternehmensgröße und Zielsetzung kann das Dokument zwischen 20 und 100 Seiten stark werden. Bei kleinen Betrieben mit geringer Komplexität können auch schon wenige Seiten helfen, klarere Regeln zu kommunizieren. Man sollte sich bewusst machen, dass eine Kreditrichtlinie nicht nur beschreibenden Charakter hat, sondern in den meisten Fällen auch mit einer Reorganisation einhergeht. Denn bestehende Probleme im Forderungsmanagement, z.B. lange Zahlungsfristen bei den Kunden oder Forderungsausfälle sind nicht selten sogar der Auslöser dafür, sich mit den Prozessen zu beschäftigen und Optimierungen zu suchen. Die Arbeit an den Lösungen verursacht hier den größten Zeitaufwand. Dessen ungeachtet kann eine Richtlinie eher pragmatisch kompakt aufgebaut sein oder detailliert professionell. Von quick and dirty-Lösungen ist dringend abzuraten, da diese meist zu unscharf bleiben und somit nicht zur Akzeptanz beitragen.

Welche Methodik hat sich bewährt?
Der richtige Start

Der wichtigste Akteur für den Start des Projektes ist die Geschäftsleitung. Der Chef sollte die Wichtigkeit der Zielsetzung im Rahmen eines Kick-Off-Meetings betonen und alle beteiligten Mitarbeiter zur Unterstützung motivieren. Außerdem sollte auch der Chef seine Bereitschaft erklären, sich selbst dem neuen Regelwerk zu unterwerfen. Besonders vertriebsaffine Geschäftsleitungen neigen dazu, restriktivere Kreditentscheidungen zu Gunsten von Umsatzgenerierung abzulehnen und festgelegte Regeln zu übersteuern. Dieser Gefahr wird durch eine grundsätzliche Akzeptanz der Kreditrichtlinie durch die Geschäftsleitung zumindest entgegengewirkt. Den Chef mit an Bord zu haben ist also eine hoch wirksame Maßnahme und unterstützt den Projektleiter vor, während und nach Fertigstellung des Projekts. Nicht zuletzt muss die Geschäftsleitung auch bewusst darüber entscheiden, dass ein solches Projekt Zeitressourcen bindet und Kosten verursacht.

Von einer Kreditrichtlinie sind diverse Abteilungen und Mitarbeiter betroffen. Wenn das Regelwerk nach Fertigstellung eine möglichst große Akzeptanz genießen soll, ist es sinnvoll, alle s.g. Stakeholder frühzeitig in den Erarbeitungsprozess einzubinden.

Der Projektleiter

Projektleiter für eine Kreditrichtlinie ist in der Regel ein Leitender im Finanz- und Rechnungswesen oder ein von ihr/m beauftragter Mitarbeiter. Ist im Unternehmen das Credit-Management institutionalisiert, dann wird i.d.R. der Credit-Manager, z.B. Leiter des Debitorenmanagements, das Projekt führen. Die Aufgaben des Projektleiters sind:

  • Beschreibung des Umfangs und der Zielsetzung des Projekts in Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung
  • Beschreibung der für die Analyse des Ist-Zustands relevanten Prozesse. Als Leitfaden können die Mindestanforderungen an das Credit Management (MaCM) dienen. Hierzu später mehr
  • Festlegung der beteiligten Abteilungen und Personen
  • Einladungsmanagement zu den Projekt-Meetings
  • Protokollierung der Ergebnisse
  • Erstellung der Gesamtdokumentation
  • Vorbereitung der Abnahme durch die Geschäftsleitung
  • Veröffentlichung und Verteilung der Kreditrichtlinie im Unternehmen
  • evtl. die Organisation von Folge-Audits
Die Ist-Analyse

Voraussetzung für die Festlegung der neuen Regeln ist eine genaue Ist-Analyse, bei der die relevanten Themen auf den Prüfstand kommen und die beteiligten Abteilungen und Prozesse identifiziert werden. Dazu zählen neben dem Rechnungswesen auch z.B. der Vertrieb, die Auftragsannahme, der Kundendienst und der Versand.

Typische Fragestellungen am Beispiel der Auftragsbearbeitung können sein:

  • Welche Voraussetzungen gibt es für die Anlage eines Kundenkontos?
  • Wie wird sichergestellt, dass die richtigen Stammdaten erfasst und Dubletten vermieden werden?
  • Wer entscheidet über das Kreditlimit eines Neukunden?
  • Was passiert bei Ausschöpfen eines Kreditlimits bei Bestandskunden?
  • Wie erfolgt das Risikomonitoring bei Schlüssel-Kunden?
  • Wie wird eine Warenauslieferung bei Zahlungsrückständen verhindert?

Typische Fragestellungen im Mahnwesen können sein:

  • Sind die Mahntexte noch auf dem neuesten Stand?
  • Wie viele Mahnstufen sind erforderlich?
  • Was passiert nach der letzten Mahnung?

Die Kernaufgabe des Credit-Managers besteht darin, alle Prozesse im Hinblick auf mögliche Ausfallrisiken im Auge zu behalten, Risikoquellen und Störfaktoren rechtzeitig zu erkennen und ein frühzeitiges Gegensteuern zu ermöglichen. Hierzu sind alle gewünschten Abläufe zu beschreiben und in festgelegte Einzelprozesse zu untergliedern.  Der Detailierungsgrad ist von der Zielsetzung und dem Zeitbudget abhängig.

Es hat sich bewährt, ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen und Abkürzungen zu erstellen.

Orientierung an den MaCM

Als große Hilfestellung bei Erarbeitung einer Kreditrichtlinie können die vom Bundesverband Credit Management e.V. herausgegebenen Mindestanforderungen an das Credit Management genutzt werden, die mit Praktikern aus verschiedenen Unternehmen entwickelt wurden. Die MaCM beschreiben die substantiellen Grundelemente eines professionellen Credit-Management-Prozesses und sind seit Jahren als Standard anerkannt. Sie behandelt im Einzelnen folgende Prozesse:

  • Kundenstammdaten
  • Bonitätsprüfung
  • Bonitätsüberwachung
  • Risikoklassifizierung
  • Kreditentscheidung
  • Forderungssicherung
  • Zahlungsbedingungen und Zahlwege
  • Rechnungserstellung
  • Mahnwesen
  • Reklamationsmanagement
  • Liefersperren
  • Forderungsbeitreibung
  • Einzelwertberichtigung/Ausbuchung

Gegen Gebühr (für Mitglieder des BvCM kostenlos) können die MaCM hier bestellt werden. https://credit-manager.de/publikationen/macm/.

Für Unternehmen, die Ihre Credit-Management-Prozesse nicht nur definieren, sondern auch zertifizieren möchten, besteht darüber hinaus die Möglichkeit, beim TÜV Nord ein s.g. Credit Management Zertifikat (CMC) zu erwerben.

Mit oder ohne Moderator/Berater?

Der Einsatz eines (externen) Moderators oder Beraters kann sehr hilfreich sein, wenn die Erfahrung für derartige Projekte nicht vorhanden ist oder Fachexpertise im Credit-Management in den Findungs- und Dokumentationsprozess eingebracht werden soll. Nicht selten zeigen sich im Projekt auch unterschiedliche Meinungen von Verantwortlichen zur Kreditvergabepraxis, sodass ein Moderator durch gezielte Fragestellungen oder Empfehlungen Konsens herstellen kann.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Möglichkeiten einer Kreditrichtlinie nur eingeschränkt ausgeschöpft werden, wenn sie ausschließlich durch interne Mitarbeiter erarbeitet worden ist.

Der Autor, Olaf Döneke, hat an verschiedenen Kreditrichtlinie-Projekten als Moderator teilgenommen. „Meine Erfahrung ist, dass selbst erfahrene Credit-Manager ein großes Interesse an dem unvoreingenommenen Blick eines externen Beraters haben. Die offenen Fragen helfen, den Wald vor den vielen Bäumen wieder klarer zu sehen. Außerdem kann der Berater wertvolle Erfahrungen aus anderen Projekten einfließen lassen.

Fazit
  1. Absolut Empfehlenswert ist eine Kreditrichtlinie für Unternehmen, die von Zahlungsstörungen und Zahlungsausfällen regelmäßig bedroht sind und ihre Rentabilität sichern wollen.
  2. Auch bei kleinen Unternehmen ist ein Regelwerk sinnvoll.
  3. Das Vorlegen eines Dokumentes zur Risikosteuerung kann auch bei Verhandlungen mit Banken und Kreditversicherungen von Vorteil sein, um niedrigere Prämien und Zinsen auszuhandeln.
  4. Vor allem ist das Regelwerk ein Handlungsnavigator, an dem sich alle Beteiligten im Order-to-Cash-Prozess orientieren können.
  5. Besonders bewährt sich eine Kreditrichtlinie bei der Neubesetzung von Stellen, wenn das Dokument als Schnelleinstieg und Nachschlagewerk genutzt werden kann.
Sie interessieren sich für eine Moderation oder eine Beratung beim Aufbau einer Kreditrichtlinie?   Unter 0231-91 56 500 kostenlos informieren.